Erfahrungsberichte

Um ganz normal wie alle anderen auch im Alltag unterwegs sein zu können, braucht es flächendeckend »Toiletten für alle«.
Menschen mit Behinderungen und ihre Familien geben Einblicke in ihren Alltag und beschreiben, was für sie ganz persönlich »Toiletten für alle« bedeutet.

„Wenn es unterwegs keine geeignete Toilette gibt, gibt es nur zwei Möglichkeiten: zuhause bleiben oder improvisieren. Improvisieren heißt dann zum Beispiel, das Wechseln der Inkontinenzartikel auf dem Fußboden einer „normalen“ Rollstuhltoilette oder im Kofferraum des eigenen Autos. Das ist eigentlich unzumutbar und würdelos.“

Ursula Hofmann, Mutter einer schwer behinderten Tochter und Vorsitzende des Esslinger Vereins Rückenwind e.V.


„Wenn es eine solche „Toilette für alle“ nicht gibt, dann hat man keine Chance, im Stadion (oder sonst wo) zur Toilette zu gehen. Mich kann man nicht „einfach so“ ohne Patientenlifter aus dem Rollstuhl heben.“

Pierre Mayer, Inklusionsbotschafter und VfB-Fan


„Für mich bedeutet eine „Toilette für alle“ mehr Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Lebensqualität.“

Peter Maier, Inklusionsbotschafter und VfB-Fan


„Eine „Toilette für alle“ ist für mich eine Herzenssache. Alle Menschen, die einen behinderten Jugendlichen oder Erwachsenen pflegen und damit auch heben müssen, haben Rückenprobleme.“

Anett Haubold, Mutter eines schwer behinderten Sohnes und Mitglied im Esslinger Verein „Rückenwind“


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„Der beste Vorschlag seit langem: einfach eine Pflegeliege für Erwachsene in ein entsprechend großes Rollstuhl-WC stellen und einen Patientenlifter dazu. Mein Sohn hat seine Toilette immer dabei – in Form einer Windel. Was wir aber unterwegs brauchen, sind Pflegeliegen für den Windelwechsel.“

Dr. Hans Joachim Keller, Vater eines schwer behinderten Sohnes und Vorsitzender des Körperbehinderten-Vereins Stuttgart e.V.


„Einen Stadtbummel mit der ganzen Familie? Das hat für uns Seltenheitswert. Als unsere Tochter noch kleiner war, sind wir ab und zu in die Großstadt gefahren. Da war sie aber schon zu groß für einen Baby-Wickeltisch. Wir wussten, dass es in einem Kaufhaus große Umkleidekabinen für Rollstuhlfahrer gibt. Die haben wir dann ab und zu angesteuert, um dort unserer Tochter die Windeln zu wechseln. Wir haben eine große Decke mitgebracht und alles, was man eben für den Windelwechsel braucht. Das war zwar nicht die optimale Lösung, aber es war für uns die einzige Möglichkeit, überhaupt einen gemeinsamen Stadtbummel zu unternehmen. Wenn wir als Familie unterwegs sein wollen, brauchen wir einen Ort zum Wechsel, eine „Toilette für alle“. Anders geht es einfach nicht.“

Petra Riegler, Mutter einer schwer behinderten Tochter und Mitglied im Esslinger Verein Rückenwind e.V.


„Wir brauchen eine „Toilette für alle“ überall dort, wo sich Menschen länger als fünf Minuten aufhalten wollen. Der Grund ist einfach: mit vollen Hosen kann man nicht teilhaben.“

Jutta Pagel-Steidl, LVKM-Geschäftsführerin


Ravensburg, im Februar 2018

Grüß Gott - sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie gerne auf ein besonderes Thema aufmerksam machen, das uns alle unser Leben lang begleitet, und für gesunde Menschen im Alltag eine Selbstverständlichkeit darstellt - ein Thema, das erst dann zum Problem wird, wenn eine entsprechende körperliche Beeinträchtigung die "Normalität" verhindert - der Gang zur Toilette, außerhalb der häuslichen Umgebung.

Waltraud Spies-Baumeister mit ihrem Sohn Hannes unterwegs im Sommerurlaub 2017. Foto: privat
Waltraud Spies-Baumeister mit ihrem Sohn Hannes unterwegs im Sommerurlaub 2017. Foto: privat

Mein Sohn wird im Sommer 16 Jahre alt.
Er ist ein interessierter und meist fröhlicher Junge, der gerne etwas erlebt und sich wie andere gleichaltrige Jungs über Action und Gesellschaft freut. Er ist von Geburt an durch einen Sauerstoffmangel schwermehrfachbehindert, sitzt im Rollstuhl und trägt Inkontinenzhilfen, ist also Windelträger. Circa alle drei Stunden muss die Windel gewechselt werden.

Was denken Sie, wo und wie kann außer Haus einem 15-jährigen Jungen die Windel gewechselt werden?

Mein Sohn kann dazu nicht hingestellt werden. Er muss liegen.
Ich selber (und dieses Problem teile ich mit vielen anderen Eltern von schwerbehinderten, immobilen Kindern und Angehörigen) habe durch die jahrelange Dauerbelastung ein Problem mit dem Rücken, und bin nicht in der Lage, meinen gut 30 kg schweren Sohn alleine aus dem Rollstuhl zu heben und irgendwo hinzulegen. Dazu benötige ich entweder jemand, der mit anpackt, oder einen Personenlifter.

Nun stellen Sie sich mal die folgende Situation im Alltag vor:
Wir sind in unserer Stadt bei einer Einkaufsrunde unterwegs, oder vielleicht auch bei einem Treffen mit Bekannten im Café (sofern dieses barrierefrei zu erreichen ist).

Ich weiß, dass spätestens nach drei Stunden oder früher, bei Bedarf, der Wechsel der Inkontinenzhilfe nötig ist.

Doch wo, und wie?
(Falls nun jemand auf die Idee kommen sollte, uns auf die häufig vorhandenen Wickeltische hinzuweisen - vergessen Sie es! Oder wollen Sie wirklich ernsthaft versuchen, einen 15-jährigen Jungen auf einen für Babies und Kleinkinder vorgesehenen Wickelplatz zu legen? Wie soll das gehen?)

Nun sagen Sie bestimmt - es gibt doch Behindertentoiletten!
Ja, richtig, die gibt es. Für die Menschen mit Handicap, die selbständig oder mit Unterstützung auf eine Toilette sitzen können, (oder bei denen ein Windelwechsel im Stehen möglich ist) mit den entsprechenden Haltegriffen etc., und einem guten Wendekreis für einen Rollstuhl, eine feine Sache. Für uns jedoch vollkommen nutzlos.

Mein Sohn muss, wie anfangs erwähnt, für den Windelwechsel hingelegt werden.
Doch wo?
Was glauben Sie, wie oft wir unterwegs schon an den verrücktesten Orten gewickelt haben?
Je nach Jahreszeit und Wetterlage:

  • Auf diversen Parkbänken.
    (Doch, da gucken manche Passanten ziemlich erstaunt, andere peinlich berührt, wieder andere etwas zu neugierig)

  • Im Café an der Autobahn, in einer versteckten Ecke, mit den Geschwistern als Sichtschutz" (und dann in der Hoffnung, dass es keine Geruchsbelästigung gibt)
    - eigentlich für unsere Familie und für die anderen Restaurantgäste eine unmögliche Situation

  • Im offenen Kofferraum des Autos (das geht aber auch nur, wenn da kein Gepäck drin ist)

  • Manchmal auch einfach auf einer Decke auf einer Wiese, das geht aber auch nur bei entsprechender Witterung und mit Hilfe des rückenstarken Ehemannes.

Was wir nie gemacht haben, ist, unser Kind auf dem Boden einer öffentlichen (Behinderten-)Toilette zu wickeln. Das ist einfach zu eklig. Möchten Sie da hingelegt werden? Also ich nicht.

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Falls Sie nun fragen - und warum nehmen Sie dann nicht einfach saugstärkere Windeln, damit nicht so häufig gewechselt werden muss?
Nun, das hat mit der Menge an Flüssigkeit zu tun, die unser chronisch lungenkranker Sohn bekommt, und mit der Notwendigkeit, auch darauf zu achten, dass er bei sowieso erhöhter Dekubitusgefahr nicht allzu lang im feuchten Milieu ist, um die Gefahr von Hautschäden und Druckstellen zu minimieren. Es gibt ja auch Menschen, deren Harnblase mittels Katheterisierung entleert werden muss, auch dieser Vorgang erfordert eine Liegemöglichkeit. Weitere pflegerische Details möchte ich Ihnen aber gerne ersparen.

Wissen Sie, welche Folgen es hat, dass es für Menschen mit schwerer Beeinträchtigung und der dringenden Notwendigkeit, bei einem "Toilettengang" eine passende Räumlichkeit zu finden, keine Möglichkeit gibt?

Ja, richtig.

Entweder die "Ausgänge" von zuhause müssen immer genauestens zeitlich getastet werden, quasi von Windel zu Windel, oder aber - sie unterbleiben gleich ganz, weil der Aufwand für die Betroffenen und ihre Angehörigen oder Begleiter einfach zu groß ist. Und das ist einfach nur traurig. Für den betroffenen Menschen, dem dadurch sein Grundrecht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben noch mehr beschnitten wird, und auch für die Angehörigen, die sich in solchen Situationen oftmals mit-behindert fühlen.

Was hat das nun mit Inklusion zu tun?

Ich zitiere: "Teilhabe behinderter Menschen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade. Die UN-BRK stellt dies klar und konkretisiert damit grundlegende Menschenrechte für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. Sie erfasst Lebensbereiche wie Barrierefreiheit, persönliche Mobilität, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Rehabilitation, Teilhabe am politischen Leben, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung. Grundlegend für die UN-BRK und die von ihr erfassten Lebensbereiche ist der Gedanke der Inklusion: Menschen mit Behinderung gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft." (Kopiert von: Seite der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, aus der Info über die UN-BRK = UN-Behindertenrechtskonvention)

Welche Lösung gibt es, um diese für die betroffenen Menschen schwierige und
oftmals als diskriminierend empfundene Situation zu verbessern?

Es gibt eine großartige Kampagne, die Ihrem Ursprung in Großbritannien hat. Sie heißt "Toiletten-für-alle" und arbeitet dafür, spezielle Versorgungsräume
für Menschen mit Handicap einzurichten. Diese Räume ähneln den klassischen Behindertentoiletten, sind aber zusätzlich mit einer großen Liege und einem Personenlifter ausgestattet. So ist es möglich, für den Wechsel der Windel die zu versorgende Person
mithilfe des mitgebrachten Liftertuches bequem und rückenschonend auf die Liege
zu heben, und nach getaner Arbeit die Windel in einem dafür vorgesehenen Abfallbehälter zu entsorgen, und ein Waschbecken zur Verfügung zu haben. Außerdem kann somit der Windelwechsel in einem geschützten und angenehm temperierten Raum erfolgen, so, wie halt auch jeder von uns "Gesunden" den Gang aufs stille Örtchen am liebsten in einer angenehmen und diskreten Örtlichkeit antritt.

Ist es mir gelungen, Sie für dieses Thema zu sensibilisieren?

Dann bitte ich Sie darum - unterstützen Sie die Kampagne "Toiletten-für-alle" des Landes Baden-Württemberg und helfen Sie mit, dass es auch in unserer Stadt, in unseren Nachbarstädten, in unserem schönen Landkreis und darüber hinaus immer mehr "Toiletten-für-alle" gibt!

Mit einem freundlichen Gruß
Waltraud Spies-Baumeister

 

PS:
Und wissen Sie, wo mein nächster größerer Ausflug mit unserem behinderten Sohn hinführen wird - auf die Insel Mainau! Diese hat nämlich seit 2017 zwei sog. "Toiletten-für-alle" eingerichtet, und geht somit vorbildhaft voraus.

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